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Pressespiegel Schamrock-Festival 2014 (Auswahl)

 

Süddeutsche Zeitung, 23 .10. 2014, SZ Extra -
Die Redaktion empfiehlt - Höhepunkte der Woche

Die französische Schriftstellerin George Sand gilt als erste Frau, die öffentlich Hosen trug, um sich in der männerdominierten Kulturszene zu behaupten. Gut vorstellbar, dass Sand einigen der Dichterinnen des Schamrock-Festivals zum Vorbild dient . ..

Seitenweise Sätze schleudern

Beim zweiten Schamrock-Festival kommen mehr als 50 Dichterinnen in der Pasinger Fabrik zusammen, um sich mit kreativer Wut zu präsentieren

"Der Satz / auf der Zunge die Luft / durch die Zähne einziehen tief /gespannt dann los", so beginnt das Gedicht Sprachschleuder der Schweizerin Heike Fiedler. Gespannt dann los – das beschreibt sehr gut die Erwartungen kurz vor dem zweiten Schamrock-Festival der Dichterinnen ... Die Initiatorin und Dichterin Augusta Laar hat zusammen mit zahlreichen Mitstreiterinnen mehr als 50 Lyrikerinnen eingeladen. Mit kreativer Wut und poetischem Elan, wie Laar im Programmheft schreibt, wollen die Frauen wieder frische Formen entwickeln.

Die Bandbreite ist dabei groß, die zurückgelegte Kilometerzahl der Dichterinnen zum Teil auch ...Schade, aber nur zu verständlich ist, dass die berühmte Dichterin Friederike Mayröcker nur beim Festival-Auftakt in Wien am 20. Oktober zu hören ist. Doch wer im Dezember seinen 90. Geburtstag feiert, ist wahrlich entschuldigt, wenn er nicht reisen möchte. Immerhin fühlte Mayröcker sich schon vor zwei Jahren "hingerissen in eurer Mitte", wie sie in einer "Gruszbotschaft" mitteilte; so lautete auch der Titel des Bandes, der das erste Festival dokumentierte ... Dichterinnen aller Länder, vereinigt euch – auch das könnte ein Motto dieses Treffens sein, zu dem Maria Reimóndez die passenden Zeilen schrieb: "so viele sprachen / verstecken sich unter deinen bäumen". Das Gedicht Sprachschleuder von Heike Fiedler wiederum endet mit den Worten "gelassen in den Tag". Auch ein gutes Motto, nicht nur für dieses Festival.

 

Süddeutsche Zeitung, 23.10. 2014, Die Woche von Augusta Laar

Sie ist Musikerin, Bildende Künstlerin, Lyrikerin – und Kommunikatorin, wie sie selbst einmal gesagt hat. Diese Rolle lebt Augusta Laar derzeit wieder besonders intensiv aus. Die 1955 geborene Multi-Künstlerin, die in München und Wien lebt, hat neben der Reihe Schamrock-Salon der Dichterinnen vor zwei Jahren ein Festival aus der Taufe gehoben; vom 24. und 26. Oktober findet die zweite Ausgabe von Schamrock in der Pasinger Fabrik statt.

Donnerstag - Kurztrip nach Wien. Auf die Schnelle ein Kurzausflug nach Wien: Im Künstlerhaus wird die Ausstellung "Idol+" eröffnet. Gezeigt werden dort prähistorische und zeitgenössische Frauenbilder ...

Freitag - Festival der Dichterinnen. Nach zwei Jahren Vorbereitung ist es heute so weit: Das zweite Schamrock-Festival der Dichterinnen geht in der Pasinger Fabrik los. Lesungen, Lesungen, Lesungen, dazwischen Performances, eine Ausstellung und Vorträge, das Programm ist so dicht wie abwechslungsreich. Gespannt bin ich besonders auf Helga Pogatschar und Nora Gomringer, die "Drei fliegende Minuten" erstmals unplugged präsentieren.

Samstag - Zeugs entsorgen. Vormittags mache ich einen kurzen Abstecher zum Wertstoffhof, wie jeden Samstag. Das ist pure Wellness – überflüssigen Ramsch mit Schwung in die großen Container schmeißen. Die Sprechoper "Die Entsorgung von all dem Zeugs" in der Pasinger Fabrik setzt das dann gleich perfekt fort: Die Schweizerinnen Andrea Martina Graf und Brigitte Meyer haben wohl ähnliche Vorlieben.

Sonntag - Schlagen und streicheln. Weil ich am Freitag keine Zeit hatte, um ins MKO-Konzert mit Robyn Schulkowsky zu gehen, freue ich mich, dass ich sie heute Abend sehe: Mit Sebi Tramontana an der Posaune und Kalle Laar an der Gitarre wird sie aus allem Töne herausklopfen, schlagen und streicheln, was als Instrument auch nur im Entferntesten tauglich ist ...

 

Süddeutsche Zeitung, 23 .10. 2014, Auf der Suche nach einem utopischen Ort

Frauen sind immer noch in der Minderheit. Beim Schamrock-Festival in der Pasinger Fabrik finden Lyrikerinnen ihr Podium

Ein Frauenfestival – das schreckt doch zunächst mal ab. Tamara Ralis erinnert sich gut, wie skeptisch sie war, als sie erstmals im Schamrock-Salon der Dichterinnen las. "Aber ich habe mich dann sehr wohl gefühlt". Auch Karin Fellner ist sich bewusst, wie leicht die geschlechtsspezifische Kategorisierung zum abwertenden Kriterium gerät. Aber andererseits ist es Tatsache, dass Lyrikerinnen auf dem Literaturmarkt nur schwach vertreten sind. Nicht weil es sie nicht gibt, sondern weil sie kaum gesehen werden. Mehr Fairness in der Wahrnehmung zu erreichen, das sei, sagt Ralis, ein Ziel des Schamrock-Festivals der Dichterinnen am kommenden Wochenende. Die Ungleichbehandlung war mit ein Grund, warum Augusta Laar, die künstlerische Leiterin desselben, 2009 den Scharmrock-Salon als Treffpunkt für Lyrikerinnen ins Leben rief. Es ärgerte sie, dass der Frauenanteil in Gedichtanthologien nur zwischen 5 und 15 Prozent lag. Daran hat sich immer noch wenig geändert, Kunst ist von Männern besetzt, sagt Karin Fellner.

Ralis und sie sind zwei der mehr als 50 Lyrikerinnen, die in der Pasinger Fabrik lesen werden. Die Dichterinnen kommen von überall her, aus deutschsprachigen Ländern genauso wie aus der Türkei, Spanien, Slowenien oder Irland. Die deutschen Autorinnen haben einen Großteil der fremdsprachigen Gedichte übersetzt. Ralis und Fellner beispielsweise die irischen Gedichte von Anne Egan, die Naturlyrik schreibt, "ohne Kitsch, Schmäh und Schmalz" (Fellner).

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts respektive seitdem die Künstler auf dem freien Markt überleben müssen, wird in regelmäßigen Abständen das bevorstehende Ende der Lyrikprophezeit. Aber trotz aller Unkereien lebt sie noch. Im Gegenteil, es macht sogar eher den Eindruck, als werde der Hunger nach Poesie wieder stärker. Geld verdienen lässt sich damit freilich nur wenig. Karin Fellner, Jahrgang 1970, hat viel Erfahrung darin, Lyrik zu vermitteln, da sie auch als Lektorin und Schreib-Coach arbeitet und seit 2008/09 "Lust auf Lyrikmit" betreut, jenes Projekt des Lyrik Kabinetts, das Schülern spielerisch einen Zugang zur Lyrik zu ermöglicht und sie ermutigt, selbst poetisch kreativ zu sein.

Fellner zählt damit zu den wenigen Menschen, die von Lyrik – wenn auch im weitesten Sinn – leben können. Im Gegensatz zu vielen anderen Autorinnen schreibt sie ausschließlich Gedichte. "Ich bin bekennende Lyrikerin". Studiert hat sie Literaturwissenschaft und Psychologie. Eine Weile lebte sie bewusst auf der Straße, wie sie es formuliert. Gemeinsam mit ihrem Mann hatte sie beschlossen auszusteigen, dem Bildungsbürgertum den Rücken zu kehren und allen angehäuften Besitz zu verschenken. Dreimal zog sie los, zweimal spülte es sie zurück, beim dritten Mal landete sie in Portugal. Aber auch dort war es nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Ein bisschen war es wie die Suche nach der blauen Blume Leider blüht die Blume der Sehnsucht, nach der Novalis seinen Romanhelden Heinrich von Ofterdingen suchen lässt, nicht in der Wirklichkeit. Irgendwann habe ich verstanden, dass ich diesen utopischen Ort in mir erarbeiten muss.

Die Erlebnisse dieser wilden Jahre hat sie in einem Gedichtzyklus verarbeitet. Für "Avantgarde des Schocks" erhielt sie 2005 den Förderpreis beim Leonce-und-Lena-Wettbewerb in Darmstadt. Es folgten der Bayerische Kunstförderpreis in der Sparte Literatur (2008) sowie der Medienpreis beim Lyrikwettbewerb Meran (2012). Inzwischen sind weitere Gedichtbände erschienen, in knapper klarer Sprache. "es ist wie mit dem eimer und dem stroh / nichts geht mehr richtig zu // ihr zimmer nennt sich welt / voll weh voll wand und wollen // das schiefe mobiliar / die fünf-minuten-pflege / der paniklauf ins maul / dann ist es überstanden . . .

Tamara Ralis, Jahrgang 1947, schreibt abstrakter, philosophischer, hermetischer. "Inmitten zweier Fluchten sah sie sich selbst und sprach / durch Glieder aus anderem Licht / zu der von niemand erinnerten Zeit". Geboren in München, aufgewachsen in USA und Frankreich, machte sie an der Akademie der Bildenden Künste in München eine Ausbildung und lernte die Schauspielerei an der Otto-Falckenberg-Schule. Nach drei Jahren als Ensemblemitglied am Residenztheater studierte sie in New York Philosophie und Literatur. Mehrgleisig wie ihre Ausbildung arbeitet sie auch: Sie schafft Skulpturen-Objekte aus Porzellanmasse und Alabaster, zeichnet, schreibt Gedichte, aber auch Kurzgeschichten auf Englisch und bringt amerikanischen Studenten deutsche Lyrik nahe.

Den Entstehungsprozess eines Gedichts zu beschreiben, finden beide schwierig. Was sie zum Schreiben antreibt? Etwas, das im Inneren rumort, ein Stachel, der reizt, sticht und – im allerbesten Fall – Sprache wird, Form annimmt, sich verdichtet. Kontrolliert herbeiführen lasse sich das nicht, sagen beide. Eine Kernqualität von Lyrik ist es wohl, vertraute Formeln aufzubrechen, Lücken zu finden. Und nur wer Lust hat auf diese sanften Irritationen, lässt sich ein auf das schwierige Vergnügen der Poesie.

Sabine Reithmaier

 

The New Indian Express, City Express, Thiruvanathapuram, 18.11. 2014,
Poetry Festival to Conclude Today - Gender Issue Alive

Augusta Laar und Schamrock zu Gast beim Kritya Poetry Festival, Indien

Seth Michelson, a poet from the US who is at Kritya 2014 poetry festival being held in the city, has authored many poetry collections. He is also a translator, but one with a mission – he translates only the work of feminist women. Does feminist literature make literature more plural, or is it an unsavoury stamp which relegates womento a corner where they can be conveniently ignored? Some of the poets at Kritya respond to the question.

Augusta Laar, who is a visual artist, musician and a poet, felt there was discrimination in all three fields. Her reply to the 'all man world' was an all-woman literary session which she called Schamrock-Salon der Dichterinnen. She started hosting these salons in Munich from 2009 onwards. Eventually, in 2012, it became a biennial festival where only women poets are invited. She applied for grants, approached cultural institutions, to garner the funds to invite the poets.

Her husband Kalle Laar supports her initiative. "The very fact that it is so successful proves the fact that it is necessary. There are various ways to respond to the issue. Augusta chose to do something about it," he says. However, Augusta feels her mission is far from being accomplished. "Women are not published as much. They have less opportunities to perform. They also win less number of accolades, as alljuries are headed mostly by men who give prizes to men," she says.

Ingrid Fichtner, who came from Switzerland, agrees with Augusta. In March 2014, I was invited to read my poetry at World Poetry Festival, at Sabad, Delhi, in the opening session. There were nine men and I was the only woman on the podium. It is very important that one talks about this. It is very important that there are these feminist women poets who fight for equal standing," she says. Seth, who has translated three women writers so far. says: The absence of these womens voices is a certain tragedy, gender-based tragedy ..."

 

Münchner Feuilleton, Oktober 2014, hingerissen in eurer Mitte

Drei Tage Lyrik: das zweite Schamrock-Festival der Dichterinnen.

Liebe zur Kunst und hemmungsloses Engagement – das treibt sie an, die beiden Erfinderinnen und Veranstalterinnen des Schamrock-Festivals der Dichterinnen, Augusta Laar und Sarah Ines Struck. Beim ersten Festival vor zwei Jahren tummelten sich in den Pausen Dichterinnen und Publikum vor den Veranstaltungsräumen in der Pasinger Fabrik, im Café oder auf dem Gelände davor und kamen miteinander ins Gespräch. Eine ganz besondere Atmosphäre herrschte da, als wären hier andere, nachdenklichere Gespräche und offenere Blicke gefragt, etwas geradezu Feierliches lag in der Luft.

Wenn drei, vier oder gar fünf Lyrikerinnen hintereinander ihre Gedichte vortragen, fordert das Konzentration. Man wird mit unterschiedlichsten Texten und Lyrik gänzlich verschiedener Konzeptionen (und ja – auch Qualität) konfrontiert. Da nimmt einen ein Gedicht gefangen, man staunt über eine Textperle und mag sich schon beim nächsten leidenschaftlich über haarsträubende Konstrukte ärgern – emotionslos bleibt man selten. Immer fasziniert von dem Sog, der sich da entwickelt, von der kreativen Wut, wie Augusta Laar es nennt.

Auch in diesem Jahr kann man an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils mehrere Stunden lang eine Lesung nach der anderen hören, unterbrochen von Performances – etwa die "Drei fliegenden Minuten" von Helga Pogatschar mit der Compagnie DRIFT nach dem Libretto von Nora Gomringer, die der eine oder andere vielleicht in der großen Bühnenversion im Schwere Reiter gesehen hat. Augusta Laar (Stimme, Spielzeug, Electronics, Plattenspieler) und Kalle Laar (Electronics, Gitarre) laden zu einem Kunst- oder Unfall-Abend: Gemeinsam mit der Weltklasse-Percussionistin Robyn Schulkowsky und dem Posaunisten Sebi Tramontana gestalten sie Lyrik neu, indem sie Wort und Klang zu einer Einheit verschmelzen.

Los geht es mit den zahlreichen Münchner Dichterinnen, die auch an den folgenden Tagen immer wieder zu Wort kommen. Das Programm bestimmen werden diesmal freilich die internationalen Lyrikerinnen: die Dichterinnen aus der Türkei, aus Italien, Finnland, aus Südosteuropa und Irland. Sie lesen mal mit, mal ohne Übersetzung. Man darf gespannt sein, etwa auf die italienische Schriftstellerin Dacia Maraini, die in Deutschland nur mit ihren Romanen, nicht aber als Lyrikerin bekannt ist, obwohl sie seit 1960 in Italien Lyrik publiziert. Und Nora Gomringer steuert nicht nur ein Libretto bei, die Meisterin der Lyrik-Performance und Leiterin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg liest auch selbst aus ihren Gedichten, ebenso Swantje Lichtenstein oder die Adalbert-von-Chamisso-Preisträgerinnen Yoko Tawada und Zehra Cirak.

Augusta Laar, Alma Larsen und Sarah Ines Struck haben die Texte des letzten Festivals in der verdienstvollen edition monacensia im Allitera Verlag veröffentlicht. Den Titel haben die Herausgeberinnen dem GruszwortFriederike Mayröckers für die Veranstaltung 2012 entnommen, das dem Band vorangestellt ist: "hingerissen in eurer Mitte", eine wunderbare Formel für das Festival selbst. Friederike Mayröcker und Ruth Klüger sind in der Anthologie vertreten, Dorothea Grünzweig, Tanja Dückers und Marlene Streeruwitz neben vielen anderen, auch kaum bekannten Namen. Ein Entdeckerbuch, das Lust macht auf den dreitägigen Lyrik-Marathon in München von 24. bis 26. Oktober.

 

Süddeutsche Zeitung, 27. 10. 2014, Kreative Wut

"Mein herz ist eine hure / und bringt mich in verlegenheit / bei jeder sich bietenden gelegenheit". Es ist dunkel im Saal der Kleinen Bühnein der Pasinger Fabrik, die rot gepolsterten Wände liegen im Schatten, nur Theresa Hahl steht im Scheinwerferlicht. Die zierliche junge Frau trägt eine freche Wollmütze schräg auf dem Kopf, steht selbstbewusst am Mikrofon und spricht ohne Manuskript in wunderbar überraschenden, unglaublichen Wort-Wendungen. "Jeder kopf ist ein kleiner trabant / und der kohlenstoff im eigenen / triebwerk verstand". Dass die 25-Jährige das Publikum dazu bringt, den Atem anzuhalten, ist kein Wunder. Sie ist seit gut fünf Jahren aktiv und überaus erfolgreich in der Spoken Word-Szene, eine Slammerin also, die keine Schwierigkeiten hat, ihre Zuhörer in ihren Bann zu ziehen. Und damit eine von den Menschen, "die doch wohl ein völlig kaputtes Leben haben, sonst würden sie nicht auf der Bühne stehen". Das jedenfalls hat einmal ein Zuhörer zu Hahls Kollegin Carmen Wegge gesagt, die an diesem Abend mit ihr gemeinsam auftritt und die den Ausspruch literarisch verarbeitet hat.

Das zweite Schamrock-Festival der Dichterinnennach dem ersten im Jahr 2012 fand am vergangenen Wochenende in der Pasinger Fabrik statt. Der Name erklärt sich so, wie Sarah Ines Struck, gemeinsam mit Augusta und Karl Laar Veranstalterin, verrät: Sowohl der Begriff Scham als auch der Begriff Rock seien doppeldeutig zu verstehen. Scham als das Gefühl und das weibliche Geschlechtsteil, Rock als ein Kleidungsstück und die Musikrichtung. Beide kann man dann kombinieren und interpretieren. Vielleicht so, dass hier schamlose Frauen das Publikum rocken? (⇒ schamrock, Gedicht von Augusta Laar) ...

"Wenn dir der Mond / Gestohlen bleibt / Lernt er bei mir / Lektion eins / Lichtlaken heller bleichen /n Für dich" trägt beispielsweise die Schweizerin Esther Ackermann vor. Und die Österreicherin Birgit Müller-Wieland: "Wenn wir endlich aus dem Ozean / kriechen den Seeungeheuern / entronnen dem letzten / Grund entkommen dem ewigen / Dunkel ... Dem Unterweltkönig Gottschwammkörper / Zyklopenblick Speichelspur". Zu Müller-Wieland tritt nach der Lesung eine Zuhörerin. Sie sagt: Das war wirklich wunderschön. Auch wenn ich nicht viel verstanden habe.

Ja, die Sache mit dem Verstehen. Die kann zum Beispiel Armin Steigenberger erklären, der gemeinsam mit Augusta Laar in der Lyrikergruppe "Reimfrei" ist und deshalb heute im Publikum. "Man versteht oft ziemlich wenig bei Gedichten. Aber es geht auch nicht ums Verstehen. Eher um Rhythmik und Schwingungen". Ein Gedicht rational aufzuschlüsseln, das funktioniere nicht. "Man versteht von der Welt ja auch nur einen Bruchteil. Mit einem Gedicht dringt man quasi in metaphysische Bereiche ein".

Auch Karin Fellner kennt das mit der Frage nach dem Verstehen. Es ist ein Phänomen, das immer auftaucht. "Aber man müsse ja nicht alles verstehen, könne offen sein für Assoziationen, sich überraschen lassen". Auch beim Schreiben werde sie selbst immer überrascht. Fellner unterrichtet im Projekt "Lust auf Lyrik" und hat oft erlebt, wie aus desinteressierten Jugendlichen begeisterte Dichter wurden.

In manchen Performances versteht man dann wirklich nicht mal mehr ein Wort. In der Sprechoper mit dem Titel "Die Entsorgung von all dem Zeugs" etwa geben die Schweizerinnen Andrea M. Graf und Brigitte Meyer die meiste Zeit nur Laute von sich. Summen, Surren, Zischen, Bruchstücke von Worten. Do-se. Samm. Melcontainer. Trotzdem gewinnt man den Eindruck von einem lustigen Treiben in einem Müllcontainer, in dem sich die Einzelteile bestens amüsieren. Klang und Rhythmik pur bietet dann die Jabanerin Yoko Tawada, die in ihrer Muttersprache und auf Deutsch schreibt. Ihre auf Japanisch vorgetragenen Gedichte sind ein Genuss.

Das nächste Schamrock-Festival in zwei Jahren ist schon in Arbeit. "Die Hauptarbeit ist es, die Förderer zusammen zu bekommen". Die Stadt wird auf jeden Fall wieder dabei sein, verspricht Bürgermeisterin Christine Strobl. Das Ziel soll bleiben, was die Veranstalterinnen so formulieren: Wir wollen mit kreativer Wut und Poesie die Welt verbessern. Zusammen mit Männern.

Claudia Wessel.

 

CULT, 1. 2015, Schamrock-Festival der Dichterinnen

Über 50 Lyrikerinnen aus 13 Ländern folgten der Einladung zum zweiten Schamrock-Festival der Münchner Künstlerinnen und Autorinnen Augusta Laar und Sarah Ines Struck nach München sowie nach Wien. Den beiden Veranstalterinnen gelang eine Biennale der Superlative, die vier Tage lang den weiblichen Blick auf den aktuellen poetischen Kosmos in allen Facetten beleuchtete, mit Lesungen und Performances, Ausstellung und Diskussionen.

Und viele kamen zum Lyrik-Festival in die Pasinger Fabrik. Einem Lyrik-Marathon, der die Konzentration des nicht nur weiblichen Publikums forderte: wenn Künstlerinnen aus Deutschland, Finnland, Galizien, Irland, Italien, Japan, Mexiko, Österreich und der Schweiz, Slowenien, der Türkei, der südsibirischen Republik Tuwa und den USA ihre "kreative Wut" herausschleudern, wie Augusta Laar das nennt. Dass die berühmte Dichterin Friederike Mayröcker nur beim Festival-Auftakt in Wien zu ihren Ehren zu hören war, schien verständlich, da diese angesichts ihres 90. Geburtstages zum Jahresende nicht mehr verreisen wollte. Sie trat stattdessen live mit neuen Texten im Literaturhaus Wien auf. Als sie vor zwei Jahren bei der Premiere zum Schamrock-Festivalas, fühlte sich Mayröcker "hingerissen in eurer Mitte". Diese Botschaft floss in den Titel der lesenswerten Anthologie von 2012 ein (erschienen bei Allitera, edition monacensia, 2013). Eine solche ist auch für das zweite Festival geplant.

Wer Lust und Ausdauer hatte, konnte sich auf der Lyrik-Biennale den Texten in verschiedenen, nicht immer übersetzten Sprachen mehrere Stunden hintereinander hingeben. Performances waren eine willkommene Ablenkung wie etwa jene "Drei fliegenden Minuten" von Helga Pogatschar mit der Compagnie Drift nach dem Libretto von Nora Gomringer. Die große Bühnenversion war zuvor schon im Münchner Theater Schwere Reiter zu sehen. Ein furioser Schlussakkord des Festivals gipfelte in einem Kunst-oder-Unfall-Abend: Augusta Laar (Stimme, Spielzeug, Electronics, Plattenspieler) und Kalle Laar (Electronics, Gitarre) performten gemeinsam mit der Weltklasse-Percussionistin Robyn Schulkowsky und dem Posaunisten Sebi Tramontana eine Wort-Klang-Sinfonie der besonderen Art Einen Auszug der Darbietung internationaler Dichterinnen bringen wir auf den folgenden Seiten